Internet-of-Things-Plattformen als dominantes Wertschöpfungsnetz in der Spritzgussindustrie?

Die Unternehmen der Spritzgussindustrie sehen die durch das Internet of Things (IoT) geschaffene Wertschöpfungstransparenz als Risiko. Besondere Bedenken äußern die Spritzgussanwender hinsichtlich einer durch IoT steigenden Verhandlungsmacht der OEM und damit verbundenen sinkenden Margen. Resultat dieser konservativen Einstellung ist ein mangelhafter Datenaustausch zwischen den Wertschöpfungspartnern sowie ein unterdurchschnittlicher Digitalisierungsgrad der Branche ( Vassiliadis 2017; Naderer 2017).

Doch sind nicht nur Gefahren mit der neuen Art des Wertschöpfungsnetzwerks verbunden. Das IoT bietet auch zahlreiche Vorteile für die Spritzgussindustrie und im Speziellen für die Hersteller von Kunststoffen, Kunststoffwaren, die Werkzeugbauer sowie die Maschinenhersteller zur Verarbeitung von Kunststoffen.

Die Implementierung von IoT-Plattformen in der Produktion und Logistik eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, die Potenziale von Cyber-Physischen Systemen (Gronau 2014) entlang der gesamten Wertschöpfungskette abzuschöpfen. Die systematische und aggregierte Datenbereitstellung durch die IoT-Plattform erlaubt die schnelle unternehmensübergreifende Kommunikation, d. h. einen höheren Grad an Integration der geschäftsrelevanten Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. IoT ermöglicht nicht nur einen höheren Detailgrad der Daten, sondern durch die Überwindung der hierarchie- und systembedingter Latenzen auch schnellere Reaktionen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Akteure des Diskursbereichs sind die Hersteller von Kunststoffen, Kunststoffwaren, die Werkzeugbauer sowie die Maschinenhersteller zur Verarbeitung von Kunststoffen. Damit ergeben sich vier Perspektiven auf die Nutzung eines gemeinsamen IoT-Ökosystems mit unterschiedlichen Use-Cases. Hieraus resultieren verschiedene Erfordernisse hinsichtlich der Datenbereitstellung und dem Datenzugriff der einzelnen Akteure. Mit IoT-Plattformen existieren Lösungen, die zumindest aus Perspektive der Anbieter als Produkt zur Potenzialhebung bereits zur Verfügung stehen. Mit Blick auf die tatsächliche Nutzung in der Praxis scheinen die potenziellen Anwender diesen Optimismus nicht zu teilen: der Einsatz erfolgt nur zögerlich.

Die größten Probleme für die Nutzung von IoT-Plattformen liegen in den bestehenden heterogenen IT- und Automatisierungslandschaften, die durch proprietäre Insellösungen geprägt sind, d.h. mangelnde IoT-Fähigkeit der Produktionsobjekte (die am Produktionsprozess beteiligten Entitäten) und der notwendigen informationstechnischen Infrastruktur des Unternehmens. Es existieren keine einheitlichen Schnittstellen bzw. Lösungen, die dieser Heterogenität aufwandsadäquat gerecht werden und die spezifische Konfiguration und Anbindung der beteiligten Systeme, insbesondere für kmU, erlauben. Auch scheitert die einfache Umsetzung an der Spezifik der jeweils vorliegenden Situation. Die Transformation der theoretischen Anwendungspotenziale und die individuelle Adaption der Lösungsbausteine innerhalb des existierenden Produktionssystems sind unter Berücksichtigung des Dreiklangs Mensch, Technik und Organisation zwingend erforderlich. Es gilt, die passenden Instrumente auszuwählen, geeignet zu konfigurieren und zu kombinieren, um zielgerichtet die gestellte Aufgabe meistern zu können. Vor allem die Ermittlung des spezifischen Potenzials und des konkreten Nutzens für das Unternehmen sind Hindernisse, die eine erfolgreiche Digitalisierung erschweren. Da die Realisierung im Unternehmen in den meisten Fällen eher im Brown-Field Szenario geschieht, verhindert das Fehlen von Migrationsstrategien eine systematische und zielgerichtete Fortentwicklung. Ebenfalls beeinträchtigen falsche Erwartungen und Fehleinschätzungen bei Verantwortlichen und Entscheidern die erfolgreiche Umsetzung. Infolgedessen bleibt insbesondere bei kmU die Nutzung bzw. die Umsetzung hinter den Erwartungen zurück.

Eine weitere relevante Problemstellung betrifft die Kontrolle der anfallenden Daten. Hier bestehen häufig Ängste hinsichtlich Knowhow-Abfluss, denen es hinsichtlich der Akzeptanz der Neuerungen adäquat zu begegnen gilt. Hier muss sichergestellt werden, dass jeder Akteur (vor allem die Maschinennutzer) jederzeit die kommunizierten Daten kontrollieren kann und ausreichend Eingriffsmöglichkeiten bestehen, die einerseits dem Schutzbedürfnissen genügen und andererseits den Systemnutzen nicht übermäßig schmälern. Bestehende Berechtigungskonzepte müssen dahingehend geprüft bzw. der erweiterten Datenverfügbarkeit angepasst werden. Eine geeignete Datenstrukturierung mit assoziierten Rechten und konvergenter Datengranularität fehlt bisher. Darüber hinaus existieren bislang keine Konzepte zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit verschiedener IoT-Lösungen. Unklar ist auch, wie kmU der Spritzgussindustrie IoT-basierte Geschäftsmodelle nutzen können um das bestehende Portfolio zu ergänzen und neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Ohne Zweifel lässt sich festhalten, dass sich die Spritzgussindustrie in einer turbulenten aber auch spannenden Zeit der Digitalisierung befindet. Ob sich IoT-Plattformen durchsetzen, ist wohl letztendlich davon abhängig, ob sich gesamte Branche auf einen Standard einigen kann. Dieser Standard kann entweder ein neuer branchenspezifischer oder ein bereits bestehender Standard aus einer anderen Branche sein.

Förderhinweis:

Das IGF-Vorhaben 20664 BG „IoT-Business Model Evolution – Entwicklung einer stufenorientierten IoT-Strategie für kmU der Spritzgussindustrie zum Aufbau interoperabler Plattformökosysteme“ der Forschungsvereinigung Institut für Energie- und Umwelttechnik e.V. – IUTA wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Quellen:

Vassiliadis, Michael (Hg.) (2017): Digitalisierung und Industrie 4.0. Technik allein reicht nicht. Hannover: Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie.

Naderer, Bärbel (Hg.) (2017): Aktuelle Mitteilungen von kunststoffland NRW e.V. Schwerpunkt: Chancen der Digitalisierung (Ausgabe 2). Online verfügbar unter https://www.kunststoffland-nrw.de/download/publikationen/nrw_report_2017-02-screen_5mb.pdf, zuletzt geprüft am 08.03.2021.

Gronau, Norbert (2014): Der Einfluss von Cyber-physical Systems auf die Gestaltung von Produktionssystemen. In: Wolfgang Kersten, Hans Koller und Hermann Lödding (Hg.): Industrie 4.0. Wie intelligente Vernetzung und kognitive Systeme unsere Arbeit verändern. Berlin: Gito mbH Verlag (Schriftenreihe der Hochschulgruppe für Arbeits- und Betriebsorganisation e.V. (HAB)), S. 279–295.

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